Vogelsbergwasser

Der Vogelsberg und sein Wasser

Der Vogelsberg ist mit ca. 2.300 km2 der größte Vul­kan Europas mit über 400 Ausbruchskratern und ein­zigartigen Naturräumen. Er ist reich an hervorragen­dem Wasser, das nach allen Seiten zu Tal fließt. Kli­matisch ist er durch hohe Niederschlagsmengen ge­kennzeichnet. Pro Jahr fallen zwischen 630 und 750 mm, im hohen Vogelsberg sogar bis zu 1.500 mm Niederschlag.

Hydrologie VB

Dieses Wasser fließt entweder oberflächlich über natürliche Gewässer radial ab oder dringt über die Bodenschichten in das Untergrundgestein entlang von Gesteinsspalten ein. Eine hohe Grundwasserneubildung erfolgt zum Beispiel auf lockeren, gut durchwurzelten und feuchten Böden bei einer langsamen Schneeschmelze. Eine schlechte Grundwasserneubildungsrate trotz hoher Niederschläge ergibt sich bei einem hohen Versiegelungsgrad oder starker Austrocknung des Bodens in Kombination mit Flächendrainagen, Bachbegradigungen und Schlagregen. Für das Auffüllen der Grundwasserspiegel sind ausgiebige Winterniederschläge von ausschlaggebender Bedeutung. In der Vegetationsperiode findet dagegen kaum eine Neubildung statt. Die Grundwasservorkommen besitzen ein Alter zwischen 4 Tagen und >2.000 Jahren.

Die Einzugsgebiete der Grundwasservorkommen decken sich keineswegs immer mit den Oberflächenabflüssen. Die Herkunft und die Fließdauer des Grundwassers z.B. in den großen Gewinnungsgebieten, die am Vogelsbergrand liegen, sind aufgrund der vielen Gesteinsklüfte, deren Verlauf und Größe nicht bekannt sind, oft nicht nachvollziehbar. Die Abschätzung der Grundwasserneubildung ist daher mit sehr großen Unsicherheiten behaftet. Dies gilt besonders im Hinblick auf die sich verstärkenden Klimaveränderungen mit mehr Starkregen, kürzeren Wintern und immer längeren Trockenperioden, durch die die Neubildung abnimmt.

Schwebende Grundwasserstockwerke
Eine Besonderheit im Vogelsberg sind die sog. „schwebenden Grundwasserstockwerke“ über den Hauptgrundwasserleitern. Im klüftigen Basalt bilden tonreiche, wasserundurchlässige Horizontalschichten (Ablagerungen von Vulkanasche der verschiedenen Ausbruchsphasen) oftmals mehrere Grundwasserstockwerke, die übereinander liegen. Die Wassersperrschichten können wiederum durchlässige ‚Fenster’ aufweisen, durch die der obere Kluftgrundwasserleiter mit dem unteren oder einem anderweitigen Stockwerk in Verbindung steht. Die genaue Lage und Ausdehnung der einzelnen Wasserstockwerke sind größtenteils unbekannt. Treten die Wassersperrschichten im Hangbereich an die Oberfläche, findet sich hier oftmals eine Vielzahl von Hangquellen auf nahezu der gleichen Höhenlinie.

Wasserabhängiger Naturraum
Der Vogelsberg stellt durch seinen Wasserreichtum einen einzigartigen Naturraum dar. Gewässer und Feuchtgebiete bis hin zu Mooren bilden vielfältige Lebensräume für seltene und geschützte Pflanzen (Quellkraut, Wasserhahnenfuß, etc.) und Tiere (Ringelnatter, Eisvogel, Wasseramsel, etc.)

 
Quellkraut Gettenbach_kompr.CH
Quellkraut Gettenbach
Wasseramsel kompr. OW
Wasseramsel
Feuchtwiese_kompr._OW
Nasswiese mit Wollgras
 

Die schwebenden Grundwasserstockwerke besitzen für die Wasserversorgung der Bergvegetation und der Nassbiotope eine überragende Bedeutung. Bei ausreichender Größe der Stockwerke und guter Grundwasserneubildung speisen sie die Quellen, Bachoberläufe und stehenden Gewässer ganzjährig. Quellkartierungen der letzten 50 Jahre zeigen aller­dings örtlich eine erhebliche Abnahme der Quell­schüttungen und eine Zunahme der Trockenfallstre­cken von Bachläufen. Dies ist nicht nur ein Zeichen für eine schlechtere Grundwasserneubildung, son­dern auch für menschliche Eingriffe. So wurden und werden immer wieder durch unsachgemäße Bohrun­gen und Tiefbauarbeiten Wassersperrschichten von schwebenden Stockwerken durchstoßen, so dass diese durch hydraulische Kurzschlüsse leerlaufen. Auch eine intensivere Landnutzung hat zum Verlust etlicher Quellgebiete geführt. Die SGV-Arbeit er­streckt sich daher auch auf den Schutz und die Re­generation von Hangquellen.

Kluftgrundwasserleiter und Wassergewinnung
Durch die Klüfte und Spalten, die etwa 1 – 2% des Gesamtvolumens des Basaltkegels ausmachen und die in Jahrmillionen entstanden sind, weist der Vo­gelsberg eine hohe Wasserführungskapazität aus. Dabei sind die Weite, das Gefälle und die Vernet­zung der Klüfte, Spalten und Kapillaren, die oft durch quellfähige Minerale und verwittertes Gestein ver­schlossen werden, sowie die Sperrschichten für die Wanderungsgeschwindigkeit des Wassers im Unter­grund ausschlaggebend. Die oft verschlungenen Fließstrecken des Grundwassers und die Fließzei­ten, und damit die Zeiten zwischen Niederschlagser­eignis und Grundwasserauffüllung, sind somit lokal sehr unterschiedlich. Entsprechend unterschiedlich ist das Alter der Grundwasservor­kommen im Vogels­berg, das mehrere Tagen bis hin zu mehreren tau­send Jahren betragen kann.

Sogenannte ‚Störungszonen‘ stauen das Wasser im Untergrund u.U. bis zur Bodenoberfläche auf. Diese liegen meist an den Rändern des Basaltmassivs, wo dann das Wasser unter Druck ‚artesisch‘ aus dem Boden sprudelt (z.B. Salzgebiet, Inheiden u.a.m.). Die bedeutendste geotektonische Störung des Vo­gelsberges findet sich im Horloff-Graben, einem End­ausläufer des Oberrheinischen Grabenbruches.

Diese ganzjährig wasserreichen Gebiete liegen meist  in Bach- oder Flusstälern der südlichen, west­lichen und östlichen Vogelsbergausläufer. Da hier der Flurab­stand des Grundwassers relativ gering ist, befinden sich in diesen Zonen die großen Wasserge­winnungsanlagen. Das Herstellen und Betreiben von sehr er­giebigen Brunnen ist hier recht kostengünstig.

So besitzt das größte Grundwasserwerk Hessens, Hungen- Inheiden in der Horlofftalaue, einen weit verzweigten, höher gelegenen Einzugsbereich. Der Wasserandrang hier ganzjährig so groß, dass das Grundwasser ohne die Wassergewinnung artesisch aus dem Boden treten würde. Die Wasserfontänen beim Erstellen der Brunnen belegen das. Woher das seit 1912 geförderte Wasser aber tatsächlich stammt ist kaum zu lokalisieren, zumal sich der Einzugsbe­reich von Wasserentnahmen bei schwacher Grund­wasserneubildung ausdehnt.

Wasserexport und ökologisches Risiko

Das weiche Grundwasser, das aus dem hohen Vo­gelsberg den großen Wasserwerken zuströmt, weist aufgrund geringer Siedlungsdichte, extensiver Land­wirtschaft und einer geringen Industrialisierung eine hervorragende Qualität auf. Es ist daher überregio­nal als Trinkwasser vor allem im Rhein-Main-Gebiet, in der Wetterau und im Vordertaunus sehr begehrt. So wurde die erste Fernwasserleitung nach Frankfurt 1871 bis 1873 gebaut. Als in den 70er Jahren die Förderung dort hin intensiviert wurde, waren für das Rhein-Main-Gebiet Fördermengen von über 120 Mio. Kubikmetern pro Jahr geplant. Das wäre eine Kata­strophe für den Naturraum gleichgekommen.

Denn auf Grund seiner hydrogeologischen und biolo­gischen Verhältnisse ist der Vogelsberg ein empfind­lich auf zu große Wasserentnahmen reagie­rendes System. Dies gilt besonders für die Großwasserwer­ke in den Talauen, da die Biotope, die Böden und die Gewässer hier und in den Randbereichen bei einem Grundwasserentzug dauerhaft geschädigt werden.  Durch den Klimawandel steigen diese latent vorhandenen ökologischen Risiken signifikant an, da künftig von einem sinkenden Grundwasserzustrom aus dem ho­hen Vogelsberg und von einem höheren Grundwasserbedarf des  Naturraums auszugehen ist.

Mehr dazu findet sich in den wissenschaftlichen SGV-Veröffentlichungen (s. Publikationen – Shop).